2. Die Zivilisten und die Größe der Wagenburg
Ich bin eigentlich bisher davon ausgegangen, dass sich die gotischen Zivilisten/Nichtkombattanten nicht auf dem Schlachtfeld selbst aufhielten, sondern (vielleicht beschützt von bewaffneten Abteilungen) irgendwo in den Tälern im rückwärtigen Gebiet, und zwar aus allgemeinen militärischen Gründen (Zivilisten stören bei einer Schlacht) und logistischen Gründen (wie passen die alle in die Wagenburg?). Zumal das rückwärtige Gebiet zu diesem Zeitpunkt durch die gotischen Plünderbanden einigermaßen kontrolliert wurde und die römischen Streitkräfte gebunden waren.
Aber die Tatsache, dass nirgendwo erwähnt wird (weder bei Ammianus noch in der gesamten mir zur Verfügung stehenden Forschungsliteratur), dass die Zivilisten gesondert vom Heer eine eigene Gruppe bilden und stets nur von dem unter Fritigern vereinigten Gotenzug gesprochen wird, könnte doch eher dafür sprechen, dass alle gemeinsam unterwegs waren. Ich habe deshalb noch einmal Berechnungen versucht, die ergeben, dass es nicht unmöglich ist, eine sehr große Menschenmenge innerhalb einer (großen) Wagenburg zu versammeln, es bleibt sogar im Gegenteil (je nach Größe der Wagenburg und Anzahl der Personen) erstaunlich viel Platz - ich hoffe, ich habe keinen Denk- oder Rechenfehler gemacht
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Ich halte zum Zeitpunkt der Schlacht eine Menschenmenge von 60.000 bis 75.000 (20.000 kampffähige Männer + 40.000-55.000 Zivilisten) gemäß
Burns, Barbarians within the gates of Rome, 1994 (enthält eine überarbeitete Version seines Aufsatzes von 1973, den ich Axel und Carlos geschickt hatte) für realistisch.
Natürlich benötigt man auch noch Platz für die ca. 4.000 bis 5.000 Wagen, Vieh, Beutegut etc., aber der rechnerische Quadratmeterplatz pro Person ist ja erstaunlich groß. Je größer die Menschenmenge und je kleiner die Wagenburg, desto stärker nähert sich die Lage natürlich der "Rheinwiesen"-Situation, aber ebenso wie bei den Rheinwiesen handelte es sich bei dem Gotenzug von 376-378 um eine historische Ausnahmesituation, und Völkerwanderung ist eben kein Kindergeburtstag
In Anbetracht der Tatsache, dass die Goten ein paar Monate zuvor teilweise ihre eigenen Kinder im Tausch gegen Nahrung verkauft hatten (und man ihnen dafür sogar Hundefleisch angedreht hatte, wenn man der Quelle glauben darf), scheint mir diese Art des Freiluftcampens dann eher harmlos im Vergleich dazu, solange die Versorgung zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Raubzüge wenigstens gesichert war...
Den Vogel in dieser Hinsicht schießt übrigens der Aufsatz von
Shchukin/Shuvalov, The Alano-Gothic cavalry charge in the battle of Adrianople, 2007 ab, der kein Problem darin sieht, 200.000 (!) Menschen in einen Kreis mit einem Durchmesser von 750m (!!) zu stecken ... aber die Autoren sind auch Russen, die sind hart im Nehmen